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12.09.2017
Puh, die Runde der erweiterten Geschäftsführung war dieses Mal wirklich anstrengend gewesen. Bernd Heisschuss verließ den großen Konferenzraum und war dennoch guter Dinge. Heute hatten Sie endlich ein Thema besprochen, das ihm schon seit Monaten unter den Nägeln brannte. Er hatte den Vorschlag eingebracht, dass die Geschäftsführung geschlossen allen Mitarbeitern das Du anbietet. Bereits im Februar hatte die HR-Abteilung die Idee an ihn herangetragen, dass die potenziellen Bewerber in den Stellenanzeigen geduzt werden sollen. Die sollte einen jungen und frischen Eindruck machen und im Zuge von Employer Branding und Recruiting in einer Zeit des Fachkräftemangels und hoher Fluktuation. Es machte aber natürlich keinen Sinn, wenn man nach Außen versuchte einen hippen Eindruck zu machen und kaum waren die Bewerber durch die Tür, merkten sie, dass die superfuncompany doch nicht so locker war. Mal ganz abgesehen von der Kulturwandelinitiative, die so dahinplätscherte. So richtig bewegt hatte sich aber nichts. Deshalb wollte Bernd jetzt, dass sich wirklich mal etwas änderte.
Alle hatten sich gut auf dieses Meeting vorbereitet und es hatte heiße Diskussionen gegeben. Die einen fanden die ganze Duz-Aktion zu gewollt. Das konnte doch nicht funktionieren! Wie sollte das mit den Kolleginnen und Kollegen funktionieren, die sich voller Respekt und ohne böse Absichten siezten? Das wäre doch eine total künstliche Situation! Und dann gab es ja das Beispiel eines Zulieferers. Die hatten das auch probiert und das war gnadenlos gescheitert. Am Ende siezten sich doch wieder alle, weil die Mitarbeiter einfach nicht mitgezogen hatten. Und es blieb ein fader Nachgeschmack. Andererseits hatte der ärgste Wettbewerber damit Erfolg gehabt. Bei denen hatte das offensichtlich wirklich etwas gelöst. Jedenfalls, was man so hörte.
Am Ende hatten sie demokratisch abgestimmt und das Ergebnis war knapp gewesen. Dennoch hatten Sie sich dafür entschieden es jetzt zu tun. Die Geschäftsführung wird der gesamten Belegschaft das Du anbieten. Doch jetzt kam das nächste Problem. Wie sollte das jetzt angegangen werden? Sollte man einfach eine Mail an alle schreiben und das kommunizieren und dann warten, was passierte? Oder besser auf der nächsten Betriebsversammlung …? Und was, wenn die Skeptiker doch recht hatten und das Ganze nach hinten los geht?
Als Bernd in den Fahrstuhl einsteigt, war er noch halb in Gedanken. Als einen Stock tiefer Lukas Momsen, der neue Juniormanager aus dem Einkauf, in den Aufzug einsteigt sieht Bernd die Gelegenheit jetzt mal Nägel mit Köpfen zu machen. Einfach mal ausprobieren, was kann schon passieren: „Hallo, wie geht’s? Gute Woche gehabt? Ich bin übrigens Bernd.“ Und reicht Lukas die Hand, der sie zögernd ergreift.
Ist es wirklich eine gute Idee, das Duzen per Beschluss und Anweisung einzuführen? Wenn es um das Duzen oder Siezen in der Organisation geht, dann sind wir mitten drin in der aktuellen Kulturdiskussion. Was wäre, wenn das mit Unternehmenskultur nicht so einfach wäre? Wenn Kultur ein schwer zu fassendes Dingens ist, mit seinen eigenen Regeln? Meistens macht man Kultur an dem fest, was man sieht und ggf. hört. Das berühmte Bällebad, die Ausstattung der Büros, die Anordnung der Büros, wer sitzt in welchem Stockwerk, der Dresscode, die Freizeitangebote, der Redeanteil in Meetings, den Arbeitszeiten, uswusf.
Nur ist dabei immer zu bedenken, dass wir Menschen eine Gabe haben: Wir können so tun als ob. Wir können also so tun als ob wir das Bällebad toll finden, oder als ob wir gerne im Anzug zur Arbeit kommen (oder in kurzer Hose), oder als ob wir dem Mitarbeiter Recht geben, oder als ob wir dem Beschluss der Geschäftsleitung zustimmen,… und zwar so gut, dass das keiner merkt.
Dieser Sachverhalt könnte dazu führen, dass man, neben dem Beobachtbaren in einem Unternehmen (der Vorderbühne), auch noch damit rechnen sollte, dass es etwas Nicht-Beobachtbares und Unsichtbares gibt (die Hinterbühne). Das würde das Verstehen und Beeinflussen von Kultur deutlich erschweren. Während ich auf der einen Seite das Verhalten (das Beobachtbare) durch gute Argumente, aber vor allem durch meine hierarchische Macht, schlichtweg anordnen kann, entzieht sich das Unsichtbare diesem Versuch.
Wenn man also in einem Unternehmen die Kultur beeinflussen möchte, z.B. in dem man zur Duz-Kultur übergehen möchte, dann kann man das als Geschäftsführung durchaus anbieten. Aber machen wir uns nichts vor. Ein geschickt formuliertes Angebot der ranghöchsten Personen einer klassischen Hierarchie ist immer auch eine Anordnung. Und der ist sich schwierig zu entziehen. Da könnte zu viel auf dem Spiel stehen. Aber wie gesagt, wir können so tun als ob wir das Angebot annehmen, auch wenn es uns eigentlich gar nicht passt.
Die Beeinflussung der unsichtbaren Komponente, der Hinterbühne, kann nicht durch hierarchische Macht vorgenommen werden. Die wirkt dort nur dahingehend, dass man Effekte des „so tun als ob“ dort erspüren kann. Die Hinterbühne ist der Ort der ungeschriebenen Gesetze und der (aktuellen) Werte und Prinzipien. Hier erhält man Zugang z.B. über Beziehungen, Kompetenz, über Informalität auf jeden Fall. Die Hinterbühne wird von einem geschätzten Kollegen die „erogene Zone“ des Unternehmens genannt. Und die ist schnell verschreckt, wenn man sie zur sehr untersucht.
Beeinflussen kann man sie z.B., wenn man als Mitglied der Hinterbühne genug Einfluss hat, um z.B. Dinge zu einem echten Konsens zu bringen (im Gegensatz zu dem Scheinkonsens vieler formaler Entscheidungen).
Aber wie auch immer. Kommen wir zu Bernd Heisschuß zurück: … „Hallo, wie geht’s? Gute Woche gehabt? Ich bin übrigens Bernd.“ Und reicht Lukas die Hand, der sie zögernd ergreift: „Ah, ja. Vielen Dank für das Angebot. Ich würde aber gerne erstmal beim Sie bleiben. Da fühle ich mich erstmal wohler. Sie sind ja fast doppelt so alt wie ich. Ich bin Lukas Momsen. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“
Unser Meetup ORGANEO Antipattern Night gibt in regelmäßigen Abständen die Gelegenheit Themen wie Duz-Kultur und viele andere weiter gemeinsam zu diskutieren. Dazu laden wir dich herzlich ein!
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