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02.06.2017, Winald Kasch
Der nüchterne Zweckbau am Stadtrand, den die superfuncompany Anfang der 2000er Jahre bezogen hatte, war in die Jahre gekommen. Zeitgemäße Büroarchitektur geht anders, darüber waren sich irgendwie alle einig. Aber im gleichen Maße, wie sich das Geschäft positiv entwickelte, blieb für grundsätzliche Fragen wie Standort, Gebäude und Büroausstattung keine echte Zeit. Sicher, über die Jahre hatte man immer wieder mal optimiert und die Dinge schöner gemacht. Hier neue Möbel, dort frische Farbe, hier eine Trennwand rausgerissen, dort die Teeküche modernisiert. Aber man musste kein Architekt sein, um zu wissen, dass der Zahn der Zeit am Gebäude und der gesamten Büroarchitektur nagte. Vor allem die langen dunklen Flure mit den vielen kleinen Büros erzeugten eine dunkle und wenig offene Atmosphäre. Das alles erinnerte mehr an einen Gefängnistrakt und „lebenslang“ und so gar nicht an „Zukunft der Arbeit“ oder „happy working people.“
Um diesem doch eher trostlosen Ambiente etwas entgegen zu setzen, hatte die Personalabteilung in Abstimmung mit der Geschäftsführung im Rahmen einer „Kommunikationsinitiative“ u.a. eine sogenannte „Open Door Policy“ (ODP) beschlossen. Feierlich verkündet im Rahmen eines „all hands“ Meetings, sollten offene Türen zu mehr Kommunikation und Austausch einladen. Offenheit und Begegnung statt Abschottung und Silo-Denken. So weit, so gut. Oder auch nicht.
Max Mustermann, Gruppenleiter im Kundendienst und dort verantwortlich für 8 Mitarbeiter, traf sich zur Mittagspause in der Kantine mit Paula Pusch und ihrer Kollegin Anika aus dem HR-Bereich. Sie kannten sich aus der Volleyball-Betriebssportgruppe und gingen einmal die Woche gemeinsam essen. Wie immer hatten sie sich viel zu erzählen: Die News von der Hot Air Messe in Las Vegas machten langsam auch intern die Runde und sorgten für leichte Unruhe. Auch die so schleppend verlaufende Planung für die Sommerparty war inzwischen intern ein großes Thema und wurde hinter vorgehaltener Hand heiß diskutiert.
Es ist ja nicht so, dass in der superfuncompany nicht geredet würde. Nein, wirklich nicht. Aber dann, wenn es drauf ankam, in den offiziellen Meetings und Runden, da hielt man sich besser bedeckt. Bloß nicht anecken und was Falsches sagen. Und oft genug war es „falsch“ in der superfuncompany die Wahrheit zu sagen. Zumindest das, was man für „die Wahrheit“ hielt.
Anders natürlich die Mittagspause mit den geschätzten Kollegen. Dort vertraute man sich, konnte sich auch mal öffnen und was von sich preisgeben. Max hatte da so ein Thema, das ihn beschäftigte und das auch seine beiden HR-Kolleginnen interessieren würde. Er berichtete, dass sich zwei seiner Mitarbeiter bei ihm beklagt hatten, dass es unheimlich schwierig sei mit ihm einen Termin zu vereinbaren. Dass er „schwer greifbar“ sei, auf Mails „erst viel zu spät“ antworte. Kurzum: Dass er für seine Mitarbeiter nicht genug Zeit habe. Das wurmte Max. Gerade er, der sich immer für seine Kollegen, seine Gruppe einsetzt. Immer freundlich, dem Menschen zugewandt, immer ein Ohr für die Belange seiner Kollegen. Das war ihm wichtig und er bildete sich ein, diesen Führungsstil („dienende Führung“, wie er mal in einem Führungskräftetraining gelernt hatte) auch zu leben. Und nun also diese Kritik. Er verstand das nicht.
Anika war ebenfalls erstaunt. Sie kannte Max nun schon länger und hielt ihn für einen der besseren Gruppenleiter, gerade was die sogenannten „soft skills“ anging. In der Personalabteilung hatten sie sich viel Mühe gegeben, die Führungskräfte in genau diesen Punkten zum schulen und ein Bewusstsein für gute Kommunikation zu schaffen. „Und was hast Du den Kollegen dann gesagt?“, fragte sie Max. Der musste laut lachen: „Na, dass wir doch eine Open Door Policy“ haben! Wieso kommt ihr denn nicht einfach zu mir?“
Paula und Anika guckten sich mit einer Mischung aus Verwunderung und Entrüstung an: „Ja, wirklich!“, sagte Paula, „Ich verstehe das nicht: Das war doch alles im letzten Jahr Bestandteil der Kommunikationsinitiative, mit den ganzen Trainings und allem PiPaPo.“ Anika fiel ihr ins Wort: „Und die „Open Door Policy“, das fanden doch damals alle gut! Ob Führungskräfte oder Mitarbeiter, alle haben gesagt, dass wir ab jetzt die Türen offen halten… Und heute?“
„Tja“, sagte Max, „heute haben wir offene Türen und trotzdem kommt keiner zu mir. Was soll ich denn sonst noch machen?“ Die Drei guckten sich an. „Keine Ahnung“, sagte Anika, „aber wenn keiner zu dir kommt, obwohl die Türen offen stehen, dann können die Probleme ja nicht so groß sein…“
Die letzte Aussage von Anika ist ein Trugschluss. Offene und geschlossene Türen sind nicht das Problem, sondern bestenfalls ein Symptom für die Zustände in einer Firma. Sind die Türen geschlossen, kann man trotzdem reingehen. Einfach so. Oder anklopfen. Oder die Tür eintreten. Wäre theoretisch alles möglich. Und sind die Türen auf der anderen Seite immer offen, heißt das noch lange nicht, dass jemand reingeht.
Warum ist das so?
Die „offene Tür“ ist ein Symbol. Und damit auch immer Teil von Unternehmens-Symbolpolitik. Sie soll signalisieren, dass man sich nicht von den Kollegen abschottet, sondern dass man ansprechbar ist, dass man hilfsbereit ist, dass man einfach „da“ ist, wenn man gebraucht wird. In diesem Bild ist die Tür das Hindernis, das einer sonst organisch entstehenden menschlichen Interaktion im Wege steht. Ist die Tür offen oder ganze Mauern eingerissen, entsteht Kommunikation. Automatisch.
Das ist viel zu kurz gesprungen. Es gibt viele Gründe, warum Kollegen nicht das Gespräch untereinander suchen, obwohl Türen sperrangelweit aufstehen. Und es gibt noch mehr Gründe, warum Mitarbeiter nicht das Gespräch mit der Chefin suchen, obwohl Türen so weit aufstehen, dass man mit dem Bus durchfahren könnte.
Grund 1: „Der Chef ist immer beschäftigt.“
Der Chef sagt: „Meine Tür ist immer offen und keiner kommt zu mir.“ Der Mitarbeiter sieht seine Chefin aber nur von Meeting zu Meeting flitzen, immer auf Achse, immer gestresst, immer auf dem Weg irgendwohin. Das muss nicht stimmen, aber so ist die Wahrnehmung. Dass die Chef-Büros häufig leer sind und verlassen wirken, weil Führungskräfte natürlich tatsächlich einen Großteil des Tages in Meetings verbringen, trägt zu diesem Eindruck bei. Dank der offenen Tür kann es jetzt auch jeder sehen, dass der Chef „nie“ am Platz ist. Im Ergebnis glauben Mitarbeiter, ihre Chefs seien immer busy und haben nur „wichtige“ Dinge zu tun. Was uns zum nächsten Punkt führt.
Grund 2: „Meine Themen sind nicht wichtig genug für meine Chefin.“
Viele Mitarbeiter glauben, dass die Chefs nur die ganz großen Räder drehen und von morgens bis abends in geschäftskritischen Meetings sitzen und wichtige strategische Entscheidungen treffen. Dem ist natürlich nicht so – auch wenn viele Führungskräfte versuchen, genau diesen Eindruck zu erwecken. Ein Mitarbeiter, der in diesen hierarchischen Strukturen sozialisiert und konditioniert ist, wird im Zweifel glauben, dass „die da oben“ für solche (vermeintlich) trivialen Themen keine Zeit und erst recht kein Interesse haben. Es spielt auch keine Rolle, ob das stimmt oder nicht, aber der Glaube ist tief verwurzelt. Der Respekt, vielleicht auch die Ehrfurcht vor den Chefs, also der Hierarchie, ist so groß, dass eigene Themen zurückgestellt werden: „Mein Thema kann warten. Mein Chefs hat momentan einfach Wichtigeres zu tun.“
Grund 3: „Der Weg zur Chefin geht über die Assistentin.“
Offene Tür oder nicht, viele Führungskräfte haben AssistentInnen, die ihren Tag organisieren und vor allem Termine machen. Und auch sonst in vielen Dingen unterstützen. Aber eine Termin vereinbarende Assistenz konterkariert eine ODP, zumindest ein bisschen, denn so richtig offen steht die Tür ja doch nicht. Man muss immer noch am Gatekeeper vorbei und das ist – zumindest gefühlt – eine Hürde.
Es sei denn, man versteht sich gut mit dem/der Assistent/in. Wer dann das Gespräch sucht, bekommt dann die entscheidenden Hinweise: „Die Chefin ist heute nicht gut drauf. Komm mal lieber morgen wieder. Oder mach am besten einen Termin für nächste Woche.“ Oder die andere Variante: „Geh mal gleich durch. Cheffe ist gut drauf. Der HSV hat gewonnen!“
AssistentInnen sind häufig Chef-Flüsterer mit sehr feinen Antennen für gute und schlechte Zeitpunkte, für Stimmungen und Befindlichkeiten und häufig mit sehr wertvollem Kontextverständnis. So wichtig das im Einzelfall für eine Führungskraft sein mag, aber in jedem Gatekeeper steckt immer auch ein potentieller Showstopper. Eine offene Tür soll ja gerade den direkten Kontakt und Austausch, also „barrierefreie Kommunikation“, ermöglichen und befördern. Ohne Türsteher.
Was also tun?
Die beste ODP taugt nichts, wenn nicht auf Seiten von Führungskräften ein echtes Bewusstsein dafür da ist, was wirklich die Grundbedingungen für Kommunikation auf Augenhöhe sind: Vertrauen, Nähe, Erreichbarkeit, Zeit und Raum. Wer nicht nur Türen öffnen, sondern auch die damit verbundenen Ziele erreichen will, sollte sich folgende Vorschläge zu Herzen nehmen:
1. Offene Kalender
Kalender sind das interne Steuerungsinstrument einer Organisation. Wer hat auf welche Kalender a) Einblick und b) Zugriff? Wer kann anderen Termine einstellen, also über deren Zeit verfügen? Wer gibt wem (wieviel) Zeit? Welche Termine gehen vor? All das ist Ausdruck von Hierarchie und Macht in Unternehmen. Zeit ist neben Geld die knappste aller Ressourcen in einem Unternehmen – und die wird mit hierarchischer Macht verteilt oder zugewiesen. Offene Türen nützen aber nichts, wenn niemand Zeit hat, weil sich in den Kalendern ein Termin an den nächsten reiht, ohne jede Lücke.
Voraussetzung für eine „wirksame“ ODP sind also offene Kalender, wo die Kollegen schnell und einfach gucken können, wie es um die Verfügbarkeit von Kollege X und Führungskraft Y aussieht. Eine Lücke im Kalender in Kombination mit einer offenen Tür erhöhen dann deutlich die Wahrscheinlichkeit einer echten Zusammenkunft und persönlichem Dialog.
2. „Slack Time“ für Führungsarbeit
Wenn ich als Führungskraft keine Zeit habe, dann kann ich den Kollegen auch keine Zeit geben. Und unser Erfahrung nach wünschen sich Mitarbeiter von ihren Führungskräften vor allem eins: Zeit. Zeit zum Reden. Zeit zum Gedankenaustausch. Zeit für Fragen. Und, ja, auch Zeit, um mal über etwas Persönliches zu reden. Vor allem dann, wenn das Private direkt oder indirekt Einfluss hat auf die Performance bei der Arbeit. Es gibt einfach viele Gründe, um sich mal auszutauschen.
Diese Zeit sollte sich eine Führungskraft nehmen und im Kalender als z.B. „Open Door Slack Time“ blocken. Hinter dem Konzept von „Slack Time“ steht ja die Idee, dass man sich Zeit nimmt, um losgelöst vom normalen, operativen Tagesgeschäft kreativ und/oder innovativ wirken zu können. Also mal nicht fleißig Dinge abarbeiten, sondern einen (zeitlichen und u.U. auch physikalischen) Raum schaffen und etwas auf sich zukommen lassen. Zum Beispiel die Mitarbeiter aus dem Team, mit welchem Anliegen auch immer. Diesen Freiraum muss man sich schaffen, im Kalender blocken, gegen andere Termine „verteidigen“ und dann sollte man „Slack“ mal „Slack“ sein lassen. Auch wenn es einer viel beschäftigten Führungskraft schwer fällt: Das kann auch mal „nichts tun“ bedeuten. Das hat aber nichts mit Faulheit zu tun und es ist auch keine Verschwendung. Im Gegenteil. Das vermeintliche „Nichtstun“ des Chefs und die daraus entstehende Verfügbarkeit ist ein wertvoller Beitrag zur Führungsarbeit in modernen Organisationsstrukturen. Die Mitarbeiter wissen das zu schätzen oder werden es zu schätzen lernen.
3. „Office Hours“ einrichten (und einhalten)
Wenn die Führungskraft noch einen Schritt weiter geht, dann richtet man feste Sprechzeiten („Office Hours“) ein. Diese schaffen Vertrauen und Verbindlichkeit, weil Mitarbeiter und Kollegen sich darauf verlassen können, dass die betreffende Person zu dieser Zeit auch wirklich im Büro anzutreffen ist. Es ist ein wichtiges Signal an die Kollegen: „Ich nehme mir Zeit für euch. Ihr stört nicht! Kommt rein uns lass uns reden!“ Richtig sinnvoll sind feste Sprechstunden natürlich nur dann, wenn sie nicht immer wieder gestrichen werden, weil „etwas Wichtigeres“ dazwischen kam. Wer das als Führungskraft nicht gewährleisten kann, sollte mit festen Sprechstunden gar nicht erst anfangen, sondern sich was Anderes überlegen.
4. Frag‘ die Kollegen!
So trivial diese Empfehlung daher kommen mag: Wer als Führungskraft wissen will, welche Meinungen und Ideen das Team, die Kollegen und Mitarbeiter zum Thema offene Türen und generell Erreichbarkeit, Verfügbarkeit usw. haben, muss halt einfach mal fragen. Da kommen manchmal die besten Ideen, das glaubt man gar nicht. Einfach mal die Kollegen fragen! Sensationelles Konzept, oder?
Was meint ihr? Was kann man noch tun, um eine ODP zum Leben zu erwecken? Schreibt eure Ergänzungen gerne ins Kommentarfeld oder schickt uns eine Mail oder einen Tweet. Wir freuen uns immer von euch zu hören!
Unser Meetup ORGANEO Antipattern Night gibt in regelmäßigen Abständen die Gelegenheit Themen wie Open Door Policy, Kulturarbeit und viele andere weiter gemeinsam zu thematisieren. Dazu laden wir dich herzlich ein!
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