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04.04.2017, Christian Kaschuba
Die Eröffnung der Hot Air 2017 in Las Vegas, der internationalen Fachmesse für heiße Luft, am Vorabend war wieder einmal eine Wahnsinns-Show. Wenn das ein Gradmesser für wirtschaftlichen Erfolg war, dann musste es der Branche richtig gut gehen. War ja auch so. Alle Festreden hatten den gleichen Tenor: Heiße Luft ist gefragt wie nie. Und so feierte die Branche bei der großen Party im Anschluss vor allem eins: sich selbst.
Die superfuncompany war mit einer großen Truppe am Start. Las Vegas war irgendwie immer eine Reise wert und da wollten viele Mitarbeiter gerne mal dabei sein. Neben der Geschäftsführung auch die Leiter Vertrieb und Marketing sowie die Leiterin der Unternehmenskommunikation sowie diverse weitere Mitarbeitende aus den genannten Bereichen. Man wollte vor Ort live dabei sein, wenn die neue SFC Hot Air Produktreihe nach 3 Jahren Entwicklungsdauer nun endlich vorgestellt wird.
Am nächsten Morgen, am ersten offiziellen Messetag, machte sich der Geschäftsführer Bernd Heißschuss, seine Assistentin Frida Fröhlich sowie der Vertriebschef Torsten „Tornado“ Nadolny auf, um bei einem ersten Messerundgang mal zu schauen, was die Konkurrenz so macht. Das war immer irgendwie spannend. Man wusste ja schon viel über die anderen, aber es war dann trotzdem aufregend es zu tatsächlich zu sehen. Außerdem war die Branche bekannt dafür, keine Kosten und Mühen zu scheuen, um einen großen Auftritt zu inszenieren.
Sie waren schon fast am Ende ihres Rundgangs, als sie auf einmal vor einem Messestand einer chinesischen Firma standen, von der sie zwar gerüchteweise schon im letzten Jahr gehört hatten, aber so nebulös und vage, dass man sich nicht weiter damit beschäftigt hatte. Und China war ja nun auch weit weg. Der Messestand selbst war im Vergleich zu den großen Playern im Markt eher bescheiden, aber was sie dort sahen, nahm ihnen erstmal die Luft zum Atmen. Keiner sagte ein Wort, aber alle wussten: Das, was sie da sahen, war brisant. Leider gut. Der nächste heiße Scheiß. Ein „game changer“ für die gesamte Branche und damit auch für die superfuncompany.
Wenn es den Chinesen tatsächlich gelingen sollte, private Haushalte mittels eines einfachen sonnenstromgetriebenen Generators direkt mit heißer Luft zu versorgen, stellte das die gesamte Produktpalette der superfuncompany in Frage. Wer würde jetzt noch Dosen und Flaschen mit heißer Luft im Supermarkt oder an der Tankstelle kaufen? Wer lässt sich das noch nach Hause schicken, wenn man heiße Luft so bequem selber machen kann?
Die Vorfreude auf die Messe war ihnen jedenfalls gründlich genommen. Von einer Sekunde auf die andere waren sie in der Defensive. Unter Druck. Sie würden handeln müssen, und zwar schnell. Bernd Heißschuss guckte Torsten Nadolny mit ernstem Blick an: „Jetzt haben wir ein Problem.“
Das China-Abenteuer der superfuncompany lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Komplexität.
Im Kontext von Wirtschaft bezeichnen wir als Komplexität das Ausmaß von Überraschungen in der Marktumgebung eines Unternehmens. Überraschungen sind nicht vorhersehbare, also nicht planbare Ereignisse, auf die ein Unternehmen reagieren muss. Also ein Problem, das dringend gelöst werden muss, weil sonst ein wirtschaftlicher Schaden entsteht.
Diese überraschend auftretenden Ereignisse stehen dabei in keinem bekannten kausalen Zusammenhang. Was heute so passiert, kann morgen schon ganz anders kommen. Man kann diese Phänomene also beobachten, wenn auch manchmal nur aus dem Rückspiegel, aber man kann aus der Beobachtung keine Vorhersagen für die Zukunft ableiten. Man kann Komplexität also nicht kontrollieren oder steuern, sondern nur als gegeben hin nehmen.
Treten viele Überraschungen in kurzen zeitlichen Abständen ein, dann bezeichnen wir das als Dynamik. Komplexität und Dynamik hängen also in der Regel immer zusammen. Auf engen Märkten erzeugt der Wettbewerb Marktdruck, der sich in Dynamik äußert. Je höher die Dynamik, desto höher der Bedarf an Überraschungsfähigkeit in der Organisation.
Für manche lautet die Antwort „Komplexitätsmanagement“. Toller Begriff. Hört sich gut an. So als habe man alles unter Kontrolle. Das ist ja schließlich die Aufgabe von Management, nicht wahr? Wobei sich dann die Frage stellt, ob sich Komplexität wirklich „managen“ lässt?
Was war nochmal „Management“? In einfachen Worten ausgedrückt, ist Management die Steuerung der Organisation mit Hilfe von Wissen und hierarchischer Macht über Entscheidungen und Anweisungen. Management beruht also auf einem Wissensvorsprung.
„Komplexität zu managen“ hieße also, dass das Management über das Wissen verfügt, wie mit immer wieder neuen, überraschenden, kausal nicht zusammenhängenden Ereignissen umzugehen ist und darauf aufbauend die Organisation mit Anweisungen steuert.
Das ist natürlich Quatsch. Wenn etwas überraschend daher kommt, dann ist es eben nicht planbar. Neue, nicht vorhersehbare Ereignisse (für die es kein Wissen in der Organisation gibt) verlangen nach agiler, dynamikrobuster Organisation und Führung – nicht nach mehr oder besserem (Komplexitäts-)Management.
Was heißt das bezogen auf den obigen Fall der superfuncompany?
Externe Referenzen suchen
Unternehmen in einem dynamischen Marktumfeld wissen, dass Marktbeobachtung wichtig ist. Nicht nur die Geschäftsführung, nicht nur der Vertrieb oder die Marktforschung, sondern alle Mitarbeiter sollten den Markt im Blick behalten. Fenster öffnen, den Blick nach außen richten. Augen offen halten. Ohren auf die Schienen legen. Alles an Daten generieren, was möglich ist und intern in belastbare Informationen umwandeln, die dann im Ergebnis die Basis für Handlungen und Kommunikation sein können. Hier gilt Qualität vor Quantität: Lieber persönliche Gespräche mit Kunden und Wettbewerbern führen, lieber in der Community umtriebig sein, lieber Co-Innovation betrieben, als mit klassischer Marktforschung zu arbeiten.
Überraschungsfähigkeit
Komplexität zeichnet sich (siehe oben) ja nun genau dadurch aus, dass Überraschungen vorkommen. Deutlicher formuliert: Shit happens. All the time. Ein überraschungsfähiges Unternehmen nimmt das als gegeben hin, hadert nicht damit, sondern feiert die Überraschungen als den Normalfall und die nächste Chance. Für unvorhersehbare Probleme kann es nun mal keine erprobte Patentlösung geben. Auf überraschende Ereignisse Antworten zu finden, heißt von Steuerung (also Management) auf Führung umzuschalten. Was heißt das?
Führungsarbeit heißt das Organisationssystem immer wieder zu stören und die störende Unruhe (Dynamik) hochzuhalten. Den Muskel trainieren, neue Fragestellungen als willkommene Überraschung zu sehen statt als lähmende Störung des Regelbetriebs.
Vorbereitet sein ist besser als Nicht-Planbares zu planen
In einem dynamischen Umfeld mit hoher Komplexität helfen keine Budgets, Pläne und Steuerung über Ziele, sondern es braucht Wachheit und Schnelligkeit im Umgang mit Überraschungen. Wenn das Problem neu ist (die Organisation also nicht über das Wissen verfügt, es lösen zu können), dann braucht es eine andere Herangehensweise, um Probleme zu lösen. Problemlösungspotential, sozusagen.
Probleme sichtbar machen, verstehen und priorisieren
Dynamikprobleme können in der Regel nicht hierarchisch mittels Anweisung gelöst werden, weil das Management entweder zu weit weg vom Problem ist und/oder das Wissen fehlt, um Anweisungen geben zu können. Probleme sollten also transparent gemacht werden bei allen, die vom Problem betroffen sind oder vermutlich etwas zur Lösung beitragen können. Und Symptome von Problemen trennen. Nicht selten ist das anscheinend Offensichtliche nicht das Problem, sondern nur symptomatisch für etwas Tieferliegendes. Die Ursache. Die Wurzel des Übels.
Können wichtiger als Wissen
Überraschungen zeichnen sich also in der Regel dadurch aus, dass in der Organisation das Wissen fehlt, wie das Problem zu lösen wäre. Das macht es so anspruchsvoll. Für bekannte Problemstellungen und immer wiederkehrende Vorgänge hingegen hat eine Organisation Abläufe, Prozesse und Regeln. Tritt ein derartiges Problem auf, weiß jeder, was zu tun ist und dann muss das nur konsequent abgearbeitet werden.
Überraschende, komplexe Dynamikprobleme brauchen Könner, die das Problem lösen wollen. Auch wenn es nicht „einfach“ ist. Könner sind Talente, die sich durch ein Problem provoziert fühlen und es gemeinsam mit anderen lösen wollen. Hat diese Person Ansehen, dann werden andere dieser Person folgen und sie unterstützen wollen. Durch die Gefolgschaft entsteht Führung, und zwar temporär und bezogen auf dieses Problem. Beim nächsten Problem entsteht eine „andere Führung.“
Teamwork anstatt Einzelperformance
Das Lösen von überraschenden Problemen braucht das Zusammenspiel von motivierten Mitarbeitern, die sich gemeinsam auf den Weg machen, Ideen zu generieren, was man jetzt tun muss. Wie man das Problem lösen könnte. Es braucht also ein Bewusstsein dafür, dass solche Herausforderungen nur im Zusammenspiel mit anderen gemeistert werden können. Und dafür braucht es einen guten Geist der Kollaboration und Interaktion. Also Teamwork. Miteinander. Füreinander. Es braucht also eine entsprechende Wertekultur. (Mehr zum Thema Kultur im Mai-Blogbeitrag des Antipattern-Kalenders.)
Was es definitiv nicht braucht, sind Manager, die aus der Hierarchie Anweisungen geben, obwohl sie weder über das Wissen noch über das Können verfügen, etwas zur Problemlösung beizutragen.
Das Spiel drehen
Man kennt es aus dem Sport: Wer nur defensiv agiert und darauf reagiert, was der Gegner macht, ohne eigene Akzente zu setzen, der steht unter Dauerdruck und wird über kurz oder lang Gegentreffer kassieren und Spiele verlieren. Wenn man Spiele gewinnen will, dann muss man selber Tore erzielen und Treffer setzen. Also den Gegner unter Druck setzen und gucken, ob und wie er reagiert.
Wie drehe ich also das Spiel? Wie erzeuge als Unternehmen Marktdruck auf den Wettbewerb? Mit eigenen Ideen und Innovationen, auf die die Konkurrenz erst einmal eine Antwort finden muss. Es gilt also in die Offensive zu gehen, den Druck auf den Gegner zu erhöhen und dessen Ideenreichtum und Innovationskraft herauszufordern. (Diesem Thema widmen wir uns im August mit unserem Blog-Beitrag zum Antipattern „Innovationsmanagement“.)
Und die Moral von der Geschicht? Schlechtes Wetter gibt es nicht!
Wenn immer wieder davon gesprochen wird, dass Komplexität genauso launisch, wechselhaft und überraschend sei wie das berühmt-berüchtigte April-Wetter, dann hat das einen wahren Kern. Man muss es nämlich nehmen, wie es kommt. Und wie es kommt, das kann sich gerade hier bei uns im hohen Norden sehr schnell ändern. Wenn ich mich darauf vorbereite, dann habe ich immer entweder die passende Kleidung und einen Regenschirm dabei oder ich überrasche mich mal selber und genieße den Regenschauer, ziehe meine teuren Wildlederschuhe aus und tanze barfuß und pitschnass durch die Pfützen!
Wann hast Du das das letzte Mal gemacht?
Unser Meetup ORGANEO Antipattern Night gibt in regelmäßigen Abständen die Gelegenheit Themen wie Komplexitätsmanagement und viele andere weiter gemeinsam zu thematisieren. Dazu laden wir dich herzlich ein!
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