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01.06.2016, Winald Kasch
Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich in der Schule zu den Schlechtesten im Schwimmunterricht gehörte. Mein Sportlehrer in der 6. Klasse, Herr H., schickte mich mit den Worten „… das wird nie was“ ins kleine Becken zum Üben. Ich weiß nicht mehr, ob ich es jemals zurück in den Schwimmunterricht geschafft habe. Mit Anfang dreißig war ich motiviert, mich wieder mit dem Schwimmen auseinanderzusetzen. Ein Triathlon war das Ziel. Laufen und Radfahren waren kein Thema. Schwimmen musste ich üben. Vollkatastrophe. Nach 25 m „Kraul“ war ich reif für’s Atemzelt. Der Trainer:
„Deine Lage im Wasser ist schlecht. Du musst die Beinarbeit verbessern.“
„Wenn du keine Luft bekommst, dann dreh den Kopf weiter nach links (oder rechts).“
„Geschwindigkeit geht nur, wenn du mit Kraft durchziehst. Und denk an die Beine!“
usw.,usf. …und ich kurz davor, das Training zu verlassen – diesmal freiwillig.
Alle Tipps des Trainers und meiner Trainingskollegen haben mich nicht wirklich entspannt. Auch nach Wochen stellte sich kein wirklicher Erfolg ein. Ich habe versucht, alles zu befolgen. Aber es wurde nicht wirklich besser. Es ging ja erstmal nur darum, 1500 m am Stück zu schwimmen, ohne zu denken, dass man gleich stirbt. Das ist so wie 45 Minuten zu laufen oder eine Stunde Rad zu fahren.
Irgendwann war ich sooooo genervt. Da stellte ich mir die Frage, ob ich eigentlich verstanden habe, was beim Schwimmen das grundlegende Problem ist. Ist es wirklich das Üben und Optimieren der richtigen Atmungstechnik? Oder der effiziente und kraftvolle Beinschlag für die gute Lage? Oder die fehlende Kraft für die Geschwindigkeit?
Die Idee des Schwimmens ist es ja, sich horizontal (und effizient, elegant, schnell, …) durch das Wasser zu bewegen. Nur ist die Schwerkraft dagegen. Sie zieht unsere Beine nach unten, bis wir im Wasser „stehen“. Und wir versuchen, die Beine nun wieder hochzubekommen. Das machen wir, indem wir Fahrt aufnehmen (Arme und Beine arbeiten) und zusehen, dass die Geschwindigkeit uns quasi aus dem Wasser zieht und uns eine horizontale Schwimmlage ermöglicht. Arme ziehen uns nach vorne, Beine unterstützen das. Ach ja, Atmung! Dazu reißen wir dann den Kopf nach links und oder rechts und schnappen schnell nach Luft. Es ist kaum Zeit, da wir uns ja vorwärtsbewegen müssen. Das mentale Modell ist eines, das zugrunde legt, dass Kraft der Schlüssel ist. Kraft gibt Geschwindigkeit und bei genug Geschwindigkeit „zieht es dich aus dem Wasser“. Dann sind die oben genannten Tips auch richtig. Aber es hat bei mir nicht funktioniert.
Ich habe es dann irgendwann rausgefunden: Ich muss das mentale Modell, das Denkmodell des Schwimmens ändern. Mein größtes Problem beim Schwimmen war das Finden von Gleichgewicht. Die Balance, die ich brauche, um, egal wie schnell ich bin und wieviel Kraft ich habe, im Wasser liegen zu können, ohne dass meine Beine gleich wieder nach unten wollen und ich wie eine Kerze im Wasser stehe. Beim Gehen, Laufen und Radfahren habe ich, wie die meisten anderen Menschen in meiner Umgebung, das Beherrschen des Gleichgewichts als Kind gelernt. Erst, als ich mein Gleichgewicht stehend halten konnte, konnte ich anfangen, Gehen zu üben. Und auch beim Rollern (Laufrad gab es damals noch nicht) und Radfahren ist eine Grundvoraussetzung, die Balance zu halten. Dabei unterstützt mich die Geschwindigkeit; wir kennen das alle: je schneller wir fahren, desto stabiler geht es geradeaus, aber die Gleichgewichtsdefizite werden beim langsamen Fahren schnell sichtbar. Fragt mal einen Rennradfahrer mit Klickpedalen…?
Wenn das mentale Modell Schwimmen als Gleichgewichtsproblem beschreibt, dann ändern sich die Dinge, die ich üben muss, bevor sich Erfolg einstellt. Erst als ich das verstanden und in Übungen umgesetzt habe, ging es mit dem Erfolg im Schwimmen voran. Alles andere (Kraft im Oberkörper, effizienter Beinschlag, Atmung,…) war nicht unwichtig geworden, aber es bekam nun eine andere gedankliche Basis. Erst als mein Gleichgewicht stabil war, ergab es Sinn, an den anderen Dingen zu arbeiten: Beinschlag, Armzug, Atmung, Drehung der Körperachse usw. Ich konnte alles in Bezug auf mein (mangelndes) Gleichgewicht analysieren und effizient daran arbeiten.
Nehmen wir nun ein Unternehmen, das erfolgreich in seinem Markt sein möchte und schauen, was es dafür machen müsste, dann haben interne und externe Berater ähnlich gelagerte Tipps und Anleitungen an die Geschäftsführung, um das zu erreichen: „Ihr müsst euren Vertrieb besser aufstellen, damit ihr neue Chancen im Markt schneller erkennt. Und denkt dran die Kunden in den Griff zu kriegen, jede Änderung einer gemachten Bestellung kostet unnötig Geld“. „Eure Prozesse sind nicht mehr zeitgemäß. Ihr müsst sie einem kompletten Re-Design unterziehen, damit ihr die Kosten wieder in den Griff bekommt“. „Eure Unternehmenskultur hält nicht mit den Anforderungen der Digitalisierung Schritt. Ihr müsst ein zeitgemäßeres Leitbild entwerfen und es schaffen, dass alle es leben.“ Usw., usf.
Nun gibt es mittlerweile in Unternehmen einige Menschen, die soooooo genervt sind von diesen gut gemeinten Ratschlägen und Beratungsansätzen. Ähnlich wie beim Schwimmen wird an der Kraft für den Armzug gearbeitet und der Beinschlag optimiert, aber alles, ohne das tatsächliche Problem verstanden zu haben. Das führt dazu, dass man vielleicht noch mit Fleiß und Engagement viel tut, aber die Erfolge ausbleiben.
Nun haben Unternehmensorganisationen andere Grundprobleme als Schwimmer, Läufer oder Radfahrer. Aber ähnlich wie bei meinem Schwimmproblem ist es absolut sinnvoll und im Sinne des Erfolges notwendig, sich die Frage nach dem oder den Grundproblemen zu stellen.
Wer uns kennengelernt hat, weiss, dass wir zum Thema Grundproblem(e) gern in die Richtung des Denkmodells der Organisation schauen. Also einmal einen Blick darauf werfen, welches mentale Modell die Leitung eines Unternehmens für die Organisation der zu erledigenden Aufgaben hat. Wir unterscheiden dann gern in die eher hierarchisch-arbeitsteilige Sichtweise der Organisation von Arbeit oder in die integrativ-selbstorganisierende Sicht. Je nachdem, welches mentale Modell oder Denkmodell vorherrscht, wird bestimmten Grundregeln und Prinzipien gefolgt. Und die sind eine effiziente oder nicht-effiziente Grundlage für Vorgehensweisen, Maßnahmen, Aktivitäten. Je nach Umwelt- und Marktbedingungen.
Dabei beeinflusst ein Organisations-Denkmodell wichtige Dinge:
Präferierte Entscheidungsfindungsprozesse: Gruppe oder Einzelperson
Führung: Steuerung oder Kompetenz-Reputation-Führung
Meetings: Berichterstattung oder Diskurs
Projektvorgehensweise: Wasserfall oder Scrum
Planungszyklen und -inhalte: Jahres- oder Mehrjahrespläne oder Fliegen auf Sicht
Skalierbarkeit: Teilung und Beherrschbarkeit von Arbeit oder Kopplung selbstorganisierter Einheiten
Probleme: Arbeit an Symptomen oder Arbeit am Grundproblem
Transparenz: Hat man nicht oder hat man
Aber Achtung: Es geht nie um Ausschließlichkeit und ein Entweder-Oder. Die Erfahrung zeigt, dass es für eine Organisation immer ein vorherrschendes Modell gibt, aber das jeweils andere Modell in Nischen vorhanden ist.
Und die Moral von der Geschicht’: Wenn bislang bewährte Maßnahmen in Unternehmen zu immer weniger zufriedenstellenden Ergebnisse führen, dann denken Sie doch einmal über Ihr Grundproblem nach. Eventuell ist es ein Denkmodell, das im Weg steht.
Enjoy the change! – Winald
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